Krankheit als Weg - Deutung und Bedeutung der Krankheitsbilder
Gesundheit, so sagen wir, sei unser höchstes Gut. Welchen Sinn haben dann Krankheiten in unserem Leben?
Thorwald Dethlefsen, einer holistisch-humansistischen Psychologie verpflichtet, die unser individuelles Schicksal als unsere persönliche Chance versteht, und der Mediziner Rüdiger Dahlke, zeigen mit diesem bahnbrechenden Werk einen Weg zum tieferen Begreifen von Krankheit.
Die Augen
Die Augen lassen nicht nur Eindrücke herein, sondern sie lassen auch etwas heraus: In ihnen sieht man die Gefühle und Stimmungen des Menschen. Deshalb forscht man im Blick des anderen und versucht, ihm tief in die Augen zu schauen oder in seinen Augen zu lesen. Die Augen sind der Spiegel der Seele. Es sind ebenfalls die Augen, die in Tränen ausbrechen und so eine innere psychische Situation nach außen hin offenbaren. Die Irisdiagnostik benützt bis heute das Auge zwar lediglich als Spiegel des Körpers, jedoch ist es genausogut möglich, im Auge Charakter und Persönlichkeitsstruktur zu sehen. Auch der böse Blick oder magische Blick zeigt uns, dass das Auge nicht nur ein Organ ist, das hineinlässt, sondern auch etwas Inneres nach außen entlassen kann. Aktiv werden die Augen auch dann, wenn man ein Auge auf jemanden wirft. Im Volksmund wird der Vorgang des Sich-Verliebens auch mit Sich-Verschauen bezeichnet - eine Formulierung, die bereits verrät, dass Verliebte die Realität nicht mehr klar sehen können - man verschaut sich in diesem Zustand leicht, denn Liebe macht blind... (... wenn das nur nicht ins Auge geht!).
Die häufigsten Störungen im Bereich der Augen sind die Kurzsichtigkeit und die Weitsichtigkeit, wobei Kurzsichtigkeit vor allem in der Jugend auftritt, und die Weitsichtigkeit eine Störung des Alters ist. Diese Verteilung ist naheliegend, denn Jugend sieht meist nur ihren eigenen engen Umkreis, und es fehlt ihr daher der Überblick und der Weitblick. Das Alter besitzt mehr Abstand und Distanz zu den Dingen. Analog zeigt auch das Gedächtnis des alten Menschen neben der Vergesslichkeit für ganz nahe Ereignisse eine hervorragende Fähigkeit, weit Zurückliegendes mit bewunderswerter Exaktheit zu erinnern.
Kurzsichtigkeit zeigt eine zu starke Subjektivität. Der Kurzsichtige betrachtet alles durch die eigene Brille und fühlt sich bei jedem Thema persönlich betroffen. Man sieht nur bis zur eigenen Nasenspitze - und dennoch führt dieser enge Gesichtskreis nicht zur Selbsterkenntnis. Hier liegt das Problem, denn der Mensch sollte das, was er sieht, auf sich beziehen, um so sich selbst sehen zu lernen. Doch dieser Prozess pervertiert ins Gegenteil, wenn er in der Subjektivität steckenbleibt. Konkret heißt das, dass zwar der Mensch alles auf sich bezieht, aber sich weigert, sich darin selbst zu sehen und zu erkennen. Dann führt die Subjektivität nur in eine schmollende Beleidigtheit oder andere Abwehrreaktionene, ohne dass die Projektion aufgelöst wird.
Die Kurzsichtigkeit deckt dieses Missverständnis auf. Sie zwingt den Menschen, seinen Eigenbereich näher anzuschauen. Sie rückt den Punkt des schärfsten Sehens näher an die eigenen Augen, näher an die eigene Nasenspitze. Die Kurzsichtigkeit zeigt somit auf der Körperebene die hohe Subjektivität - sie will aber Selbsterkenntnis. Echte Selbsterkenntnis führt zwangsläufig aus der eigenen Subjektivität heraus. Wenn jemand nicht (bzw. schlecht) sehen kann, dann lautet die klärende Frage: "Was will er nicht sehen?" Die Antwort heißt immer: "Sich selbst." [...]