Der obige Text ist von 1930
Ich habe vor wenigen Tagen noch andere interessante Untersuchungen gefunden:
Die erste augenärztliche Untersuchung an Schülern fand
1845
an der Fürstenschule zu St. Afra in Meißen statt, die zu dieser Zeit eine
sehr angesehene höhere Lehranstalt war. Der Bezirks- und Schularzt
Dr. Meding befand, daß, trotz bester Lebensverhältnisse, von den 130
Schülern
fast die Hälfte kurzsichtig war. Ähnliche Untersuchungen an
anderen Schulen erbrachten vergleichbare Resultate. (S. 156)
Erst die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen an
wehrpflichtigen Männern brachten es mit sich, daß die These von der
Kurzsichtigkeit als 'Bildungskrankheit', wie sie bis dahin von der Mehrheit
der Ärzte vertreten wurde, revidiert werden mußte. Als Beispiel
können unter anderem die Arbeiten des Kopenhagener Augenarztes
Dr. Tscherning gelten. Von 1880 bis 1881 untersuchte dieser 7.564
Wehrpflichtige aus der Stadt- und Landbevölkerung, und versuchte dabei,
einen möglichen Zusammenhang zwischen Kurzsichtigkeit und beruflich
ausgeübter Naharbeit zu überprüfen. Tscherning unterschied
zwar, wie die meisten seiner Kollegen, zwischen mehreren Myopieformen,
für die er bei verschiedenen Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen
eine spezifische Verteilung sah. Entscheidend war jedoch ein
grundsätzliches Ergebnis seiner Untersuchungen, nämlich, „daß die
Myopien über diese Grenze hinaus von Naharbeit ganz unabhängig und
über die gesamte Bevölkerung, ohne Rücksicht auf ihren Grad verteilt“
waren. (S. 164)
Ähnliche Ergebnisse erzielten die Militärärzte Dr. Veszely und
Dr. Hoor in Wien. Sie konnten 1887 anhand der Protokolle eines Garnisonsspitals
feststellen,
daß von den 1.405 Militärpflichtigen, die von 1881-1886 untersucht worden waren, 233 „Ungebildete“, hingegen aber nur 130 „Gebildete“ hochgradig kurzsichtig waren. 470 Hoor untersuchte außerdem im Zeitraum von 1891-1895 in einem Garnisonshospital
in Budapest 183 kurzsichtige Wehrpflichtige aus verschiedenen Berufs- und Gesellschaftsklassen,
und stellte die höchsten Grade von Kurzsichtigkeit fast ausschließlich
bei Personen fest, die „zum größten Teil überhaupt keine Schule besucht hatten.“
Zitiert nach: Wingerath: Allmählicher Verlauf der Kurzsichtigkeitsbewegung, S. 340.
Über die Entstehung der Kurzsichtigkeit wurden noch eine ganze Reihe
von Theorien aufgestellt; als ihre Hauptursache wurde allerdings erst
durch die Untersuchungen des Züricher Augenarztes Adolf Steiger erbbiologische
Faktoren erkannt.
Daß ein ähnliches 'Behandlungsprogramm'
im frühen 20. Jahrhundert auch von deutschen Ärzten vertreten
wurde, belegt die Besprechung eines Aufsatzes von Karl Erhard
Weiß mit dem Titel „Ist Kurzsichtigkeit durch Übung der Augen heilbar?“,
die 1915 in der Deutschen Optischen Wochenschrift abgedruckt
wurde. Darin heißt es: „Schon früher und auch noch jetzt während des
Krieges wurde von militärischer Seite empfohlen, zur Heilung der Kurzsichtigkeit
Uebungen im Fernsehen anstellen zu lassen, und behauptet,
daß sich durch solche Uebungen das Sehvermögen so weit bessern
lasse, daß meist das Tragen von Gläsern nicht mehr nötig sei. Demgegenüber
vertritt der Verf. den Standpunkt, der von allen Augenärzten
geteilt wird, daß wirkliche Kurzsichtigkeit einen Fehler im Bau des Auges
bedeutet, und nicht etwa eine 'Schwäche' des Auges.
(Hervorhebungen in rot von mir.)
Quelle:
Der geschärfte Blick
Zur Geschichte der Brille und ihrer Verwendung
In Deutschland seit 1850
Inauguraldissertation
zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie
http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2 ... 2-0109.pdf
Also schon 1845 war fast die Hälfte der Schüler einer höheren Lehranstalt kurzsichtig!
Für heute finde ich keine Zahlen......
Experten gehen davon aus, dass mehr als 50 Millionen Deutsche fehlsichtig sind. Sie leiden vor allem unter Kurzsichtigkeit (Myopie). „Zwar gibt es für Deutschland keine aktuellen Zahlen, doch wahrscheinlich sind sie ähnlich den neuen Ergebnissen aus Skandinavien und England“, so Frank Schaeffel, der die Forschungssektion Kurzsichtigkeit an der Universität Tübingen leitet. Demnach sind 35 (Skandinavien) bis 53 Prozent (England) der Studenten kurzsichtig. Dabei scheint Kurzsichtigkeit ein Zivilisationsproblem zu sein.
Quelle:
Kurzsichtigkeit: Risiko für Vielleser - weiter lesen auf FOCUS Online:
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber ... 20649.html
edit: Zahlen von 2011 gefunden:
Die Häufigkeit der Myopie hat in den letzten Jahren in vielen
Ländern zugenommen und es liegen neuere Daten vor z.B. aus
den USA (Zunahme von 1972 – 2004 von 25 auf 41% [35]) sowie
aus Deutschland: Hier liegt der Anteil der kurzsichtigen
Bevölkerung bei 35% (Pfeiffer et al. ARVO 2011, #2506) bzw.
bei 41,3% [19].
Quelle:
Myopie-Update 2011 von F. Schaeffel
DOI
http://dx.doi.org/10.1055/
s-0031-1281584
Online-Publikation: 27.7.2011
Klin Monatsbl Augenheilkd
2011; 228: 754–761 © Georg
Thieme Verlag KG Stuttgart
Also nicht wirklich ein Anstieg der Kurzsichtigeit in Deutschland?